Westerholder Geschichten

Keine Zeit

Ein Handwerker aus Rabeneck geht im Wald spazieren. Nach einer Weile erblickt er einen Holzfäller, der hastig und sehr angestrengt dabei ist, einen auf dem Boden liegenden Baumstamm zu zerteilen. Er stöhnt und schwitzt und scheint viel Mühe mit seiner Arbeit zu haben. Der Wanderer geht etwas näher heran, um zu sehen, warum die Arbeit für den anderen so schwer ist. Schnell erkennt er den Grund und sagt zu dem Holzfäller: „Guten Tag. Ich sehe, dass Du Dir Deine Arbeit unnötig schwer machst. Deine Säge ist ja ganz stumpf – warum schärfst Du sie denn nicht?“ Der Holzfäller schaut nicht einmal hoch, sondern zischt durch die Zähne „Dazu habe ich keine Zeit, ich muss doch sägen!“

aufgeschrieben von Zacharias „Knotter“ Köhlersohn


Der Streit um die Westerholder Möhre

Ein Bretone und ein Marturier erblickten eines Tages gleichzeitig eine dicke, große Westerholder Möhre, die jemand verloren hatte. Sie konnten sich nicht einigen, wem die Möhre gehört. Als zufällig ein Eichenbühler Wanderer daherkam, sollte dieser als Schiedsrichter fungieren. Der Wanderer hörte den beiden Streithähnen aufmerksam zu und sprach dann: „Die Sachlage ist klar: Jedem von euch gehört genau die halbe Wurst!“

Der Eichenbühler teilte die Wurst daraufhin in zwei Teile und legte die Teile auf die Waage. Eines der beiden Stücken war etwas schwerer. Also biss er einen guten Happen davon ab. Wieder legte er die Teile auf die Waage und nun war das andere Teil schwerer. Auch hier biss er wieder ein Stück ab. So ging es immer weiter und weiter, auf dass er zu einer gerechten Lösung kommen würde. Doch die Wurstteile wurden immer kleiner und ehe es sich der Bretone und der Marturier versahen, war die ganze Wurst vom Eichenbühler aufgegessen worden. Mit gesenktem Kopf und knurrendem Magen schlichen Bretone und Marturier davon.

aufgeschrieben von Zacharias „Knotter“ Köhlersohn


Von der Arbeit

Es begab sich einst in der Nähe des Eichenbühler Örtchen Ochsenfurt. Ein Lindmarker kam vorbei und sah einen Mann, der seelenruhig am Ufer der Ochs saß und aufs Wasser blickte. Der Lindmarker ging zu dem Mann und sagte: „Entschuldige, ich möchte Dich etwas fragen: Warum arbeitest Du eigentlich nicht? Du könntest z.B. in den Wald gehen und Holz hacken.“

„Aber, warum soll ich denn arbeiten?“ fragte der Ochsenfurter. „Ich habe alles, was ich brauche – genug zu leben und zufrieden bin ich auch.“

„Aber wenn Du arbeiten würdest, könntest Du viel Geld verdienen, das Geld sparen und es vielleicht sinnvoll anlegen!“ sagte der Lindmarker. „Warum,“ fragte der Mann, “ soll ich Geld verdienen und sparen?“ „Wenn Du gut verdienst, kannst Du von den Ersparten leben und dann brauchst Du nicht mehr zu arbeiten!“ Der Mann schaute den Lindmarker an und schüttelte langsam den Kopf. Dann ging sein Blick wieder zurück auf das Wasser.

aufgeschrieben von Zacharias „Knotter“ Köhlersohn


Was man zu schätzen weiß

Ein Mann kam völlig aufgebracht zum Baron: „Ich brauche dringend Hilfe – sonst werde ich noch verrückt! Meine Frau und ich leben mit unseren Kindern und den Schwiegereltern in einem einzigen Raum. Wir sind mit unseren Nerven am Ende, wir brüllen uns an und schreien. Es ist die Hölle.“

„Versprichst du, alles zu tun, was ich dir sage?“, fragte der Baron den Mann „Ich schwöre, ich werde alles tun, was Ihr mir sagt.“ „Gut,“ sprach der Baron „wie viele Haustiere hast du?“ „Eine Kuh, eine Ziege und sechs Küken.“ „Nun nimm sie alle zu dir ins Zimmer. Dann komm‘ in einer Woche wieder.“

Der Mann war entsetzt. Aber er hatte ja versprochen, zu gehorchen. Also nahm er die Tiere mit ins Haus. Eine Woche später kam er wieder, ein Bild des Jammers. „Ich bin ein nervöses Wrack. Der Schmutz! Der Gestank! Der Lärm! Wir sind alle am Rande des Wahnsinns!“ rief er, als er den Baron sah. „Geh nach Hause“, sagte der Baron, „und bring‘ die Tiere wieder nach draußen.“ Der Mann rannte den ganzen Heimweg. Und er kam am nächsten Tag wieder zum Baron. „Wie schön ist das Leben! Die Tiere sind draußen. Mein Heim ist ein Paradies – so ruhig und sauber und so viel Platz!“

aufgeschrieben von Zacharias „Knotter“ Köhlersohn


Aus dem Weg!

Ein alter Steinsfurter Kaufmann zieht mit seinem Wagen aus der wunderschönen Stadt Eichberg hinaus. Sein Esel tut ihm gute Dienste und zieht den Karren rasch voran. Nach einer Weile erreicht er eine verengte Stelle, die zwei Karren nicht nebeneinander passieren können. Just in diesem Moment kommt ihm ein zweiter Karren entgegen. Der andere blickt ihm grimmig in die Augen und ruft: „Geh mir aus dem Wege, alter Mann, oder ich mache das Gleiche was ich in Kammbrich tat.“ Erschrocken und verängstigt macht der alte Mann sogleich Platz. Nachdem der Mann mit seinem Karren vorübergezogen ist, fasst sich der alte Kaufmann ein Herz und fragt schüchtern: „Was hast du denn in Kammbrich getan?“ „Nun“, antwortet der andere „dort bin ich ausgewichen und habe Platz gemacht.“

aufgeschrieben von Zacharias „Knotter“ Köhlersohn


Geschickt gefragt

Es waren einmal zwei Steinsfurter Mönche, die es einfach nicht lassen konnten, während des Gebets Bier zu trinken. Weil sie aber das schlechte Gewissen plagte, schrieben sie jeder einen Brief an den Abt, um ihn dazu zu seiner Meinung zu befragen. Als Antwort erhielt der eine Mönch eine Erlaubnis, der andere jedoch ein Verbot. Darüber wunderten sie sich sehr. Der Mönch, dem das Trinken erlaubt wurde, fragte den anderen: „Was hast du denn den Abt gefragt?“ „Ich habe gefragt, ob ich während des Betens Bier trinken darf.“ „Und ich“, antwortete der, der eine Erlaubnis bekommen hatte, „habe gefragt, ob ich beim Biertrinken beten darf.“

aufgeschrieben von Zacharias „Knotter“ Köhlersohn


Der leere Krug

Eines Tages kam ein Schüler, der sich in der Schmiedekunst bewähren wollte zu einem der berühmten Schmiedemeister aus Rabeneck. Er hatte schon so viel von dem weisen Mann gehört, dass er unbedingt bei ihm die Kunst des Schmiedens erlernen wollte. Er hatte alle Angelegenheiten geregelt, sein Bündel geschnürt und war den Berg hinauf gekommen, was ihn zwei Tage Fußmarsch gekostet hatte. Als der junge Mann beim Meister ankam, saß dieser in seiner Werkstatt auf einem Stuhl und trank in aller Ruhe aus einem Krug Bier.

Der Schüler begrüßte ihn überschwänglich und erzählte ihm sogleich, was er schon alles gelernt hatte. Dann bat er ihn, bei ihm weiterlernen zu dürfen. Der Meister lächelte freundlich und sagte: „Komm in einem Monat wieder.“ Von dieser Antwort verwirrt ging der junge Mann zurück ins Tal. Er diskutierte mit Freunden und Bekannten darüber, warum der Meister ihn wohl zurückgeschickt hatte.

Einen Monat später erklomm er den Berg erneut und kam zum Meister, der wieder biertrinkend auf seinem Stuhl saß. Diesmal erzählte der Schüler von all den Hypothesen und Vermutungen, die er und seine Freunde darüber hatten, warum er ihn wohl fortgeschickt hatte. Und wieder bat er ihn, bei ihm lernen zu dürfen. Der Meister lächelte ihn freundlich an und sagte: „Komm in einem Monat wieder.“ Dieses Spiel wiederholte sich einige Male. Es war also nach vielen vergeblichen Versuchen, dass sich der junge Mann erneut aufmachte, um zur Werkstatt des Meisters zu gehen.

Als er diesmal beim Meister ankam und ihn wieder biertrinkend vorfand, setzte er sich ihm gegenüber, lächelte und sagte nichts. Nach einer Weile ging der Meister in seine Speisekammer und kam mit einem zweiten Krug voller Bier zurück. Er gab ihn dem Schüler und sagte dabei: „Jetzt kannst du hier bleiben, damit ich dich lehren kann. In ein volles Gefäß kann ich nichts füllen.“

aufgeschrieben von Zacharias „Knotter“ Köhlersohn


Die Suche nach dem Glück

Einmal kam ein Schüler der Akademie zu seinem Lehrer und stellte ihm folgende Frage: „Sag bitte, wie erlange ich Glück?“

Der Lehrer überlegte eine Weile und antwortete dann: „Das Geheimnis des Glücks ist ein gutes Urteilsvermögen.“

„Aha.“ sagte der Schüler.

„Und wie bekomme ich ein gutes Urteilsvermögen?“

„Durch Erfahrung.“

„Ja, ja“, erwiderte der Schüler, „aber wie erlange ich Erfahrung?“

„Durch ein schlechtes Urteilsvermögen.“ war die Antwort des Lehrers.

aufgeschrieben von Zacharias „Knotter“ Köhlersohn


Der Orkenspießer, der mal eben Bauer wurde

Ein Orkenspießer aus der Lindmark entschloss sich sein erwürfeltes Geld in einen kleinen Bauernhof zu investieren. Mitsamt einigen Schafen, Enten und Hühnern. Alles ging gut und er freute sich auf sein neues Dasein als Bauer. Eines Nachts aber wurde er durch lauten Krach aus dem Hühnerstall wach, sprang mutig aus dem Bett, öffnete die Tür und lief hinaus in die Nacht.

„Höööö daaaa!!! Iss aa jemaaand?“, rief er.

„Nein, nur die Hühner!“ kam die Antwort.

„Aaaaaah, daaann iss alles gutt, schlafft gutt!“, rief er in Richtung Hühnerstall und legte sich wieder schlafen.

aufgeschrieben von Zacharias „Knotter“ Köhlersohn